Flexible Arbeitsmodelle: Herausforderung und Chance zugleich

7. August 2018, 06:29 Uhr
Einblicke in zwei Zentralschweizer Unternehmen

Von flexiblen Arbeitszeiten profitieren Mitarbeitende, Unternehmen und auch die Gesellschaft. Es stellen sich aber auch kritische Fragen zum Arbeitnehmerschutz und vielen weiteren Aspekten, wie am Beispiel von zwei Zentralschweizer Unternehmen zu sehen ist.

«Wer sieben Tage pro Woche arbeitet, ist nicht mehr effektiv. Das gilt auch für das Top-Management». Patricia Buchegger, Head of HR International beim Luzerner Milchverarbeiter Emmi, sagt dies mit aller Deutlichkeit. Obwohl heute viele Arbeiten dank dem technologischen Fortschritt fast überall und zu jeder Uhrzeit ausgeführt werden können, ist es nicht ratsam, dies zu tun. «Wichtig ist, dass man sich auf das Wesentliche konzentriert – auch in einem hoch kompetitiven Umfeld».

Weniger Kontrolle, mehr Vertrauen

Die Firma Emmi setzt ganz bewusst auf eine Reihe von flexiblen Arbeitsmodellen. «Eine transaktional geprägte Organisationskultur nach dem Prinzip Kommen – Arbeiten – Gehen bringt aus unserer Sicht nicht unbedingt die gewünschten Effekte», sagt Buchegger weiter. In ihrer strategischen Planung hat sich der Emmi-Konzern deshalb darauf verständigt, eine sogenannte «supportive environment» (Englisch für eine ‚unterstützende Umgebung‘) anzubieten. Eines der Ziele dabei ist, dass alternative Arbeitsmodelle bei Emmi «salonfähig» werden. Davon sei man jedoch noch ein Stück weit entfernt, insbesondere ausserhalb des Luzerner Hauptsitzes. «Es ist eine grosse Herausforderung ein Führungsverständnis zu etablieren, das vermehrt auf Eigenverantwortung und Vertrauen statt auf Kontrolle setzt», präzisiert Buchegger.

Home Office-Arbeit bedeutet nicht Kinderbetreuung

Erfahrungen mit flexiblen Arbeitsmodellen hat auch die Schurter-Gruppe, welche Elektronikkomponenten entwickelt und produziert. Über 100 Mitarbeitende haben auch ausserhalb des Büros einen vollumfänglichen Zugang auf ihren Geschäftsaccount. Zudem profitieren einzelne Mitarbeitende gelegentlich von der Möglichkeit von Home Office-Arbeit. «Home Office bedeutet jedoch nicht, dass man Zeit für die Kinderbetreuung hat», sagt Brigitte Studer, Head Human Resources bei Schurter. Die Anforderung an die Selbstorganisation seien bei Home Office-Arbeit ungleich höher als vor Ort im Betrieb. Zudem gelte es auch Aspekte wie Datenschutz, Vertraulichkeit und Sicherheitsregeln einzuhalten.

Emmi und Schurter mit Hauptsitz in Luzern

Emmi ist der grösste milchverarbeitende Betrieb der Schweiz. Emmi hat seinen Hauptsitz in Luzern und beschäftigt weltweit rund 6'000 Mitarbeitende, rund die Hälfte davon in der Schweiz.

Die Schurter-Gruppe stellt Elektronikkomponenten her. Sie beschäftigt weltweit knapp 2'000 Mitarbeitende, davon rund 350 am Hauptsitz in Luzern.

Eine Frage der Kultur

Mit Fragen zu flexiblen Arbeitsmodellen beschäftigt sich auch Sandra Zurbuchen. Die Organisationsberaterin arbeitet bei der Fachstelle UND, welche sich für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf einsetzt und Unternehmen berät. «Es genügt nicht, dass flexible Arbeitsmodelle angeboten werden», sagt sie. Entscheidend sei die Kultur im jeweiligen Unternehmen. «Teilzeitarbeit anzubieten ist noch keine Kultur». Wichtig sei, dass flexible Arbeitsmodelle institutionalisiert, akzeptiert und gelebt würden. Dazu bedürfe es neben einer Verankerung im Unternehmen auch Vorbilder, welche die Ansprüche von Beruf, Familienarbeit und Privatleben optimal vereinen können, so Zurbuchen. Und es gelte, Teilzeitkräfte gut zu integrieren. «Auch Teilzeitmitarbeitende sind vollwertige Arbeitskräfte», sagt sie.

Experten sprechen von «Work Life Blending»
Arbeits- und Privatleben können in der heutigen Zeit oftmals nicht mehr sauber getrennt werden. Dies gilt sowohl in Bezug auf die Arbeit, als auch in Bezug auf private Beziehungen und die Freizeit. Experten sprechen deshalb vom sogenannten «Work Life Blending». Einerseits mischt sich die Arbeit in das Privatleben und erleichtert dadurch indirekt den Handlungsspielraum für Personen und Unternehmen. Andererseits wird auch Privates gelegentlich während der Arbeitszeit erledigt. Die Folge für Arbeitnehmende ist, dass Abschalten von der Arbeit generell schwieriger oder gar unmöglich wird.
Caffè Latte ist eines der bekanntesten Produkte von Emmi.
© ZVG

Sozialer Aspekt nicht zu vernachlässigen

Wer oft zuhause arbeitet, verliert rasch den sozialen Kontakt und die Bindung zu anderen Personen in einem Unternehmen. «Wichtig ist, dass man dieser Herausforderung sowohl als Mitarbeiter als auch als Führungskraft Rechnung trägt», betont Patricia Buchegger von Emmi. Auch bei Anzeichen einer Überlastung gilt es für Führungskräfte aktiv zu werden. «Gesundheitsförderung beginnt dort, wo die Zufriedenheit nicht mehr stimmt. Dies kann wegen Überforderung, aber auch wegen Unterforderung sein», meint Brigitte Studer von Schurter. In ihrem Unternehmen werden Überlastungskandidaten vom HR und von der Geschäftsleitung gezielt angesprochen. Wichtig sei, dass eine höhere Belastung zum Beispiel aufgrund eines Qualitätsproblem nicht zu einer Dauerbelastung werde.

Fürsorgepflicht der Unternehmen

Die rund 70 HR-Fachkräfte bei Emmi stellen unter anderem sicher, dass Führungskräfte bezüglich flexibler Arbeitseinteilung geschult werden. «Es geht dabei um die Sensibilisierung für die vielen Aspekte zwischen Arbeit, Leistung, Gesundheit und Privatsphäre», sagt Patricia Buchegger. Zudem bieten die Firmen Emmi und Schurter Kurse unter anderem in den Bereichen Selbstmanagement und Stressbewältigung an. Für Schichtarbeitende gibt es beispielsweise auch Schlafcoaching-Workshops. Oft sei nämlich nicht per se die Arbeit allein ein Stressfaktor, sagt Buchegger. «Private Probleme, Geldsorgen oder Schlafmangel können ebenso für Stress verantwortlich sein». Sie persönlich vertritt die Meinung, dass der Arbeitgeber ein Stück weit Verantwortung für den privaten Bereich der Mitarbeitenden trägt. Arbeitgeber seien gut beraten, auch in diesem Bereich für das Optimum zu sorgen.

Ein Mitarbeiter von Schurter im Einsatz.
© ZVG

Flexible Arbeitsmodelle als Chance

Für Unternehmen lohnt es sich Arbeitsmodelle flexibel auszugestalten. Mitarbeitende von Emmi schätzen daran den nachhaltigen Mehrwert für sich selbst und für die Gesellschaft, weil unter anderem die Umweltbelastung und der persönliche Stress sinken. Vor allem junge Arbeitnehmende achten auf flexible Modelle, sagt Brigitte Studer von der Schurter-Gruppe. Diese Modelle würden zu einer höheren Motivation beitragen. «In Bewerbungsgesprächen ist das heute ein wichtiges Thema. Für die Firma Schurter ist es ein entscheidender Punkt um Fachkräfte zu finden und zu binden». Sandra Zurbuchen von der Fachstelle UND ergänzt: «Unternehmen, die Mitarbeitenden autonomes Arbeiten ermöglichen, profitieren. Denn wenn sie Flexibilität anbieten, erhalten sie auch Flexibilität zurück».

Verfasst von Olivier Zihlmann und Roman Unternährer. Die Autoren sind Teilnehmer des Executive MBA der Hochschule Luzern – Wirtschaft.

14. März 2020 - 13:07

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14. März 2020 - 13:07

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Olivier Zihlmann / Roman Unternährer
14. März 2020 - 13:07

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Marco Zibung / Roman Unternährer
veröffentlicht: 15. August 2018 16:00
aktualisiert: 15. August 2018 16:00