Fall Malters: Polizeispitze weist Vorwürfe zurück

19. Juni 2017, 19:22 Uhr
Geplante Stürmung sei die einzige richtige Variante gewesen

Seit Montagmorgen müssen sich der Kommandant der Luzerner Polizei, Adi Achermann und der Chef der Kriminalpolizei, Daniel Bussmann vor dem Bezirksgericht Kriens verantworten. Im Zusammenhang mit dem Fall Malters (Radio Pilatusberichtete) wird ihnen fahrlässige Tötung vorgeworfen. Gleich zu Beginn des Prozesses musste Daniel Bussmann einige Pannen beim Einsatz zugeben.

Am Mittag des 9. März 2016 wollte die Luzerner Polizei die Wohnung in Malters stürmen. Darin hatte sich eine bewaffnete, 65-jährige Frau verschanzt. Drinnen befand sich die Indoor-Hanfanlage ihres Sohnes, der zuvor in Zürich verhaftet worden war. Geplant war, dass die Frau mittels eines Feuerwerks draussen abgelenkt wird, während gleichzeitig die Haustür aufgebrochen und ein Polizeihund in die Wohnung gelassen wird, erklärte Daniel Bussmann am Morgen vor dem Bezirksgericht Kriens.

Der Einsatz ging allerdings daneben. Die Haustüre öffnete sich zu früh. Ausserdem hatte die Frau die Polizei vor der Türe wohl bereits vorher bemerkt, sodass sie sich ins Badezimmer begab, ihre Katze erschoss und dann sich selbst.

Zu wenig Alternativen geprüft

In seinem Plädoyer kritisierte der ausserordentliche Staatsanwalt am Vormittag generell das Vorgehen der Polizei. Er wirft dem Kommandanten der Luzerner Polizei und dem Chef der Kriminalpolizei fahrlässige Tötung vor. Mit dem Stürmen der Wohnung hätten sie die psychisch schwer kranke Frau regelrecht in den Suizid getrieben, so der Staatsanwalt.

Insbesondere hätten die beiden Polizeichefs zu wenige Alternativen geprüft. So hätte die Polizei den Sohn der Frau als Vermittler beiziehen können oder den Rechtsanwalt der Frau, welchen sie sogar ausdrücklich zu sprechen verlangt hatte. Beides sei zwar kurzzeitig geprüft, dann aber nicht mehr wirklich weiterverfolgt worden.

Forderung der Frau ignoriert

Auch die Forderung der psychisch kranken Frau, ihr 24 Stunden Zeit zu gegeben, hätten Adi Achermann und Daniel Bussmann zu schnell verworfen, so der Staatsanwalt weiter. Die Behauptung der beiden, die Verhandlungen mit der Frau seien gescheitert, sei zu früh getroffen worden und nicht komplett nachzuvollziehen. Auch was gegen ein weiteres Abwarten gesprochen habe, sei nicht restlos geklärt, so der Staatsanwalt.

Der Chef der Kriminalpolizei, Daniel Bussmann, sah dies jedoch ein wenig anders. Er habe ein weiteres Abwarten für zu gefährlich gehalten. Da die Frau bereits einmal aus dem Fenster geschossen hatte, musste mit einer weiteren Schussabgabe gerechnet werden. Dies hätte im Umkreis von zwei Kilometern Personen gefährden können. In diesem Bereich hätte sich etwa auch ein Schulweg befunden, so Bussmann.

Sohn der Frau will 55‘000 Franken

Der Staatsanwalt fordert für die beiden Polizeichefs Geldstrafen von rund 50'000 Franken (Adi Achermann) und gut 67'000 Franken (Daniel Bussmann) auf Bewährung. Zudem sollen Adi Achermann und Daniel Bussmann auch noch Schadenersatz bezahlen. Der Sohn der verstorbenen Frau verlangt knapp 55‘000 Franken, da die Polizei für den Tod seiner Mutter verantwortlich sei.

Behauptungen und falsche Anschuldigungen

Seit dem Mittag nehmen die Anwälte des Polizeikommandanten und des Kripochefs Stellung zu den Vorwürfen. Den Anfang machte Daniel Bussmanns Anwalt. Er betonte dabei, dass es in der Anklage Behauptungen und falsche Anschuldigungen gibt. Unteranderem habe Bussmann nicht bereits am Morgen entschieden, eine Intervention zu machen. Dies sei zunächst als Alternative geplant worden, sollten die Verhandlungen mit der Frau scheitern. Der Zugriffsentscheid gab es jedoch erst kurz vor der Intervention, als es unmöglich erschien, dass die Frau sich ergibt.

Auch dass die Einsatzleitung gewusst habe, dass die Frau psychisch schwerkrank und selbstmordgefährdet sei, ist nicht korrekt. Zwar wusste der Kripochef, dass die Frau zuvor schon in psychiatrischer Behandlung war. Mehr war jedoch nicht in Erfahrung zu bringen und kam erst später aus, so Bussmanns Anwalt.

Bereits früher Sondereinsatz wegen der Frau

Bereits 2003 gab es zudem einen Grosseinsatz der Polizei wegen der besagten Frau im Kanton Aargau. Damals verschanzte sich die Frau ebenfalls mit einer Waffe in einem Haus und musste mittels Sondereinheit Argus der Aargauer Kantonspolizei verhaftet werden. Gemäss dem Anwalt von Daniel Bussmann, war zum Zeitpunkt der Intervention in Malters aber nicht klar, was 2003 den Einsatz genau ausgelöst hatte.

Kommandant hat sorgfältig gehandelt

Auch der Verteidiger von Kommandant Adi Achermann bliess ins gleiche Horn. Viele Punkte in der Anklageschrift seien Mutmassungen, Hypothesen oder reine Behauptungen. Adi Achermann, der für den Entscheid zum Zugriff von Daniel Bussmann die Verantwortung übernommen hatte, habe sehr wohl sorgfältig gehandelt und alternative Optionen ebenfalls abgewogen, so sein Anwalt.

Dazu komme, so Achermanns Anwalt weiter, dass der Kommandant nicht selber Einsätze leite. Dafür habe er Experten, wie in diesem Fall Daniel Bussmann. Viel mehr sei es Adi Achermanns Aufgabe, die Administration zu führen und die Luzerner Polizei gegenüber Politik, Gesellschaft und Medien zu vertreten. Achermann musste einzig den Einsatz des Polizeihundes bewilligen, da dieser von der Thurgauer Polizei war.

Das Bezirksgericht Kriens verkündet das Urteil zum Fall Malters voraussichtlich am Dienstag, 27. Juni 2017.

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aktualisiert: 19. Juni 2017 19:22