Expertin zu Pädophilie

«Man muss sein sexuelles Verhalten kontrollieren – das kann man lernen»

Andreas Wolf, 19. Juni 2021, 16:57 Uhr
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Homo, Hetero, Bi, Pan: Wenn es um die Sexualität geht, hat jeder und jede andere Vorlieben, die man ausleben kann und darf. Was ist aber, wenn man seine sexuelle Neigung nicht ausleben darf? Was ist, wenn man auf Kinder steht? Eine Expertin erklärt, was hinter dem Wort «Pädophilie» steht.

PilatusToday: Lässt sich eine Neigung zum kindlichen Körper psychologisch erklären?

Monika Egli-Alge: Warum jemand eine sexuelle Ansprechbarkeit zum kindlichen Körper hat, lässt sich nicht erklären. Per Definition handelt es sich dabei um eine Präferenzbesonderheit oder um eine Präferenzstörung

Für so eine Neigung oder Störung kann man aber nichts dafür, oder?

Genau. Darum ist es auch falsch, es als Krankheit zu bezeichnen. Es gibt in der menschlichen Sexualität verschiedene Präferenzen. Statistisch gesehen gilt es als «normal», wenn man sich zu Menschen im selben Alter hingezogen fühlt.

Also Erwachsene zu Erwachsenen, Jugendliche zu Jugendlichen und so weiter. Warum sich eine Präferenz entwickelt, dazu hat man wissenschaftlich zum heutigen Zeitpunkt schlicht keine Ahnung. Es gibt verschiedene Theorien, die beispielsweise den Grund in der früheren Kindheit oder im medizinischen Bereich suchen. Bisher konnte aber nichts bewiesen werden.

Wenn man nicht weiss, wie etwas entsteht, ist es dann auch schwierig zu therapieren?

Man geht davon aus, dass eine Präferenz, die sich entwickelt hat, über die Lebensdauer stabil bleibt. Wenn man also davon ausgeht, Behandlung heisst, man therapiert das weg, dann steht man an.

Denn das geht nicht. Vielmehr muss man akzeptieren, dass man seine sexuelle Neigung nie wird ausleben dürfen. Man muss sein sexuelles Verhalten kontrollieren – das kann man lernen. Denn die Neigung zu haben und die Neigung auszuleben sind zwei völlig verschiedene Dinge.

Nicht jede/r mit einer pädophilen Neigung wird also zum Täter, vergreift sich an Kindern oder konsumiert Kinderpornografie?

Ganz genau. Der Irrglaube ist immer: Kindsmissbrauch gleich pädophil. Studien zeigen, dass rund die Hälfte von Pädophilen bereits Delikte begangen haben. Schaut man sich nur die Übergriffe an Kindern an, so ist davon wiederum nur die Hälfte pädophil. Bei den anderen stehen andere Motive im Vordergrund. Das kann Verfügbarkeit sein à la «Das Kind war halt gerade da». Auch Machtmotive oder Rache an einer Partnerin, einem Partner kommen vor. Also um zum Beispiel einer Partnerin weh zu machen, vergeht man sich am Kind. Das sind alles Motive, die wir zu hören bekommen.

Man kann also davon ausgehen, dass keine akute Gefahr von jemanden ausgeht, weil er zu Gedanken an Kinder masturbiert. Prävention ist daher ein ganz wichtiges Thema. Die sollte nämlich nicht nur auf Pädophile, sondern auch auf die andere Gruppe abgerichtet werden.

Wie sieht denn nun eine Therapie mit einer Person mit Präferenzbesonderheit aus?

Zuerst versuchen wir herauszufinden, ob die Besonderheit überhaupt vorhanden ist. Dazu führen wir intensive Gespräche und rollen die ganze sexuelle Entwicklung der Betroffenen auf. Als nächstes schaut man die Therapieziele an und wie man diese erreicht. Das oberste Ziel ist klar: keine Delikte. Das heisst: Kein Missbrauch und kein Konsum von Kinderpornos. Wir suchen gemeinsam legale Möglichkeiten. Ein Beispiel könnten Bade-Modekataloge für Kinder sein. Oder ein Betroffener hat sich im Laden Unterwäsche für Kinder gekauft, bei denen vorne Abbildungen von Kindern drauf sind, die damit posieren. Diese hat er dann als Masturbationsvorlage verwendet. Andere gehen einfach dann einkaufen, wenn Mütter mit ihren Kindern in den Läden sind und schauen dort – wir alle schauen die Menschen an, die um uns herum sind. Und das ist nicht illegal.

Aus Sicht einer Mutter ist es aber doch sicher nichts Schönes, wenn man sich vorstellt, da sitzt ein Mann auf dem Spielplatz, schaut sich mein Kind an und ist sexuell erregt?

Ob die Person sexuell erregt ist, ist wieder etwas anderes. Dort wird es aus unserer Sicht heikel. Auf dem Spielplatz zu masturbieren oder sich Erregung zu holen, geht nicht. Genauso ist es auch kritisch, wenn man auf der Strasse eine erwachsene Person quasi zum Sexualobjekt macht.

Auch Menschen ohne Präferenzbesonderheit schauen sich aber andere an, denken sich «Der oder die gefällt mir», das heisst aber noch lange nicht, dass man dann auch gleich sexuell erregt ist oder einen Orgasmus hat. Zuhause kommt aber vielleicht das Bild von der Person wieder auf und dazu zu masturbieren oder beim Sex daran zu denken, ist rein rechtlich nicht problematisch.

Man kann also auch als Pädophiler Sex haben?

Es gibt verschiedene Formen von der Präferenzbesonderheit. Da gibt es solche mit einer ausschliesslichen Anziehung zum kindlichen Körper, und solche mit nicht-ausschliesslicher. Dabei fühlt sich der Betroffene beispielsweise gleichzeitig auch zu Personen im gleichen Alter hingezogen. Das ist einfacher zu therapieren, denn diese Person hat eine Auswahl, eine Variante. Allerdings steckt diese Person in einem extremen moralischen Dilemma. Viele denken vielleicht beim Sex mit dem Partner oder der Partnerin mal an etwas anderes, wovon niemand etwas weiss. Aber beim Sex an Kinder zu denken? Das können wir uns gar nicht vorstellen, wie das für die Betroffenen ist.

Viele haben das Gefühl, den Partner/die Partnerin zu betrügen und verspüren das Bedürfnis, davon zu erzählen. Gleichzeitig hat man Angst, dass die Beziehung daran zerbricht. Wir erleben aber auch Paare, die zusammenbleiben. Das ist dann wiederum ein Dilemma für die Partnerin. Wir hören von vielen, dass man doch der besten Freundin nicht erzählen kann, dass der Partner pädophil ist und beim Sex an Kinder denkt. Für eine Partnerschaft ist das eine enorme Belastung. Manche finden aber einen Weg, damit umzugehen. Denn schlussendlich ist die Sexualität nur ein Aspekt der Persönlichkeit. Wir hören viel «Mein Mann ist mehr als nur pädophil».

Quelle: PilatusToday
veröffentlicht: 19. Juni 2021 16:57
aktualisiert: 19. Juni 2021 16:57