«Das kann nur die Schweiz»: Warum Kamala Harris bei ihrem Besuch plötzlich Hühner fotografierte
Als Kamala Harris in der «Air Force Two», der angepassten Boeing 757 für den «Vice President of the United States», im Flughafen Zürich-Kloten landet, steigt sie sofort um auf den US-Helikopter. Dieser fliegt sie nach Obbürgen. Dort befindet sich der Helilandeplatz, um auf den Bürgenstock zu gelangen.
Hier, auf 749 Metern über Meer, sieht sich die US-Vizepräsidentin plötzlich in einer völlig anderen, in einer voralpinen Welt. Stille herrscht, nur Kuhglocken sind zu hören.
Kamala Harris steigt in den Chevrolet Suburban mit den Flaggen der USA und der Schweiz. Der Konvoi mit seinen 17 Fahrzeugen setzt sich in Bewegung, vorab ein Wagen der Kantonspolizei Nidwalden. Er schlängelt sich auf der Flurstrasse durch die idyllische Hochebene in Richtung Bürgenstock, der auf 1128 Metern liegt. Vorbei an Busstationen wie Grabacher, Moos und Unter-Misli. Vorbei an Heimetli wie Kilchbühl, Kappellmatt und Lehmatt.
Als Harris den Chevrolet Suburban stoppen lässt
Plötzlich lässt Harris den Chevrolet stoppen – und bringt die Wagenkolonne ins Stocken. Die US-Vizepräsidentin hat etwas entdeckt, was sie kaum fassen kann: Hier laufen Hühner frei im Garten um ein Bauernhaus herum. Das will sie fotografieren. Mit Verzögerung fährt der Konvoi weiter zur «hochrangigen Konferenz zum Frieden in der Ukraine», welche die Schweiz auf Bitte der Ukraine organisiert. 92 Staaten nehmen daran teil.
Auch die USA. Zur Enttäuschung vor allem der Ukraine kommt leider nicht US-Präsident Joe Biden selbst auf den Bürgenstock, sondern «nur» seine Stellvertreterin. Selenskyjs Druckversuch via X bringt Biden nicht davon ab, an einer Spendengala in Los Angeles mit Ex-Präsident Barack Obama und Schauspieler George Clooney teilzunehmen statt an der Friedenskonferenz.
An jenem Samstag des 15. Juni ahnt niemand, dass Kamala Harris, die als «Ersatz» in die Schweiz reist, schon im November neue US-Präsidentin sein könnte. In der Eröffnungszeremonie wird Harris von Anwesenden als charmant, intelligent und ebenso charismatisch wie Frankreichs Präsident Emmanuel Macron wahrgenommen.
Harris schwärmt von den Hühnern und der Landschaft
Danach, am Apéro vor dem Galadiner, zeigt sie der Nidwaldner Regierungsrätin Michèle Blöchliger das Foto der glücklichen Bürgenstock-Hühner, das sie am Nachmittag geschossen hat. Die frei laufenden Hühner auf der Anfahrt würden ihr «immer in Erinnerung bleiben», sagt sie Blöchliger. «So etwas habe ich überhaupt noch nie gesehen bei einer Anreise auf eine Konferenz.»
Dann schwärmt Harris im Gespräch mit Blöchliger davon, wie «sensationell» es sei hier auf dem Bürgenstock sei – auf der einen Seite das «Grün der bergigen Landschaft» und auf der anderen Seite «die Aussicht auf den See».
Als Frau Landammann vertritt Blöchliger den Gastgeberkanton Nidwalden auf dem Bürgenstock. Sie darf auf der Terrasse zum grossen Ballsaal die Staatschefs persönlich begrüssen und ist auch beim Apéro wie beim Galadiner mit dabei.
Der strategische Auftritt von Nidwaldens Frau Landammann
Die Regierungsrätin hatte sich gut auf dieses einzigartige Ereignis vorbereitet, ihren «once in a lifetime event», wie sie sagt. Sie wusste genau, mit wem sie das Gespräch suchen wollte: mit US-Vizepräsidentin Harris, mit Frankreichs Staatspräsident Emmanuel Macron, mit Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer, mit Deutschlands Bundeskanzler Olaf Scholz und mit Ebba Busch, der Vizepremierministerin Schwedens.
Am schwierigsten erweist es sich erwartungsgemäss, zu einem Small Talk mit Kamala Harris zu kommen. Als diese in Begleitung von Bundespräsidentin Viola Amherd, Aussenminister Ignazio Cassis und dem Präsidenten der Ukraine Wolodymyr Selenskyj auftaucht, begibt sich Blöchliger in die Nähe. Es gelingt ihr, sich vorzustellen. In diesem Moment kommt ihr zugute, dass Englisch ihre zweite Muttersprache ist.
Eine bis zwei Minuten dauert der Small Talk von Blöchliger mit Harris. «Sie war natürlich, angenehm und sympathisch», sagt die Regierungsrätin.
Später spricht Blöchliger, wie sie sich das im Kopf zurechtgelegt hat, noch länger mit Frankreichs Präsident Macron und Schwedens Vizepremierministerin Busch. Vor allem aber plaudert sie nach dem Nachtessen ganze 25 Minuten lang mit Bundeskanzler Scholz und weiteren Staatsvertretern. Alle äussern sich begeistert über Organisation, Sicherheit und Atmosphäre der Friedenskonferenz.
Ein weltberühmtes Lachen
Hotelier Chris Franzen, der Direktor des Bürgenstock Resorts, hat weniger Glück. «Nur auf Distanz» habe er Harris erlebt, erzählt er. Er habe sie aber als «freundlich, sehr warm und positiv» wahrgenommen. Sie habe sich auch positiv über das Resort geäussert – und gerne gelacht.
Ihr – lautes – Lachen ist weltberühmt geworden, seit Harris designierte Präsidentschaftskandidatin der Demokraten ist. Ihre Fans lieben dieses Lachen aus vollem Hals, das den Wahlkampf in den USA begleitet. Donald Trump versucht Harris als «laughing Kamala» zu verunglimpfen.
Dass das laute Lachen von Harris ansteckend sein kann, beweist das Gruppenfoto auf dem Bürgenstock. Offensichtlich macht Andrij Jermak, Leiter des Präsidialamtes der Ukraine und wichtiger Mann hinter der Friedenskonferenz, eine witzige Bemerkung zu Harris, die daraufhin herzhaft zu lachen beginnt. Alle Staatschefs und Staatschefinnen im Umfeld quittieren die Szene mit einem Schmunzeln. Auch Bundespräsidentin Viola Amherd.
Harris hat sich mit Bundespräsidentin Amherd, Ukraine-Präsident Selenskyj und Aussenminister Cassis auf den Weg zum Gruppenfoto gemacht. Es sind nur wenige Minuten, die da für Small Talk bleiben. Dabei lobt die US-Vizepräsidentin die Rolle der Schweiz in den höchsten Tönen, wie Insider sagen.
«Grossartig» und «einzigartig» sei es, wie das Gastgeberland die Friedenskonferenz auf dem Bürgenstock organisiert habe, hält Harris fest. «Das kann nur die neutrale Schweiz.»
Kurz nach 22.30 Uhr an jenem 15. Juni entfernt sich Kamala Harris diskret aus dem Bürgenstock Resort. Sie tritt die Heimreise nach Washington an.
Zuvor, beim Apéro, hat Nidwaldens Frau Landammann sich mit der Bitte von Harris verabschiedet, sie möge doch wiederkommen. «Ich würde mich freuen, wenn Sie den Kanton Nidwalden und den Bürgenstock wieder besuchen würden», sagt Blöchliger zu Harris. «Insbesondere dann, wenn Sie kein politisches Amt mehr haben.»
Dass Kamala Harris möglicherweise bald neue US-Präsidentin ist, kann Michèle Blöchliger zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen.