Vergewaltigung

«Lieber» Vergewaltiger: Luzernerin gründet Anlaufstelle für Betroffene

Martina Odermatt, 29. Oktober 2021, 18:50 Uhr

Quelle: Tele 1

Fünf Jahre hat es gebraucht, bis Cindy bereit war über ihr traumatisches Erlebnis zu reden. Nun bricht sie ihr Schweigen auf Social Media und berichtet von ihrer Vergewaltigung am Blueballs Festival in Luzern. Und will damit weiteren Betroffenen helfen.

Cindy sitzt in ihrem umgebauten VW-Bus und fährt durch Deutschland und die Schweiz, als sie merkt, dass sie jetzt bereit ist. Sie ist bereit, ihre Geschichte mit der Öffentlichkeit zu teilen und endlich etwas zu verändern.

Vor fünf Jahren wurde Cindy Kronenberg aus Sursee während des Blueballs Festival Luzern vergewaltigt. Ein Nein hatte der Unbekannte nicht akzeptieren wollen.

Der nächste Schritt im Verarbeitungsprozess

Nun hat Cindy ihre Geschichte auf Facebook geteilt. «Lieber» Vergewaltiger, so beginnt der Post, den sie auf Facebook stellt. «Ich habe mir von dir meinen sexuellen Selbstwert durch deine Tat so klein machen lassen, dass ich an den schlechten Tagen die Hoffnung aufgegeben hatte, dass es jemals wieder wird wie zuvor.» Auf den darauffolgenden Zeilen erzählt die 28-Jährige aus Sursee so offen und ehrlich von ihrer Vergewaltigung und deren Folgen, dass es als Leser nicht einfach zu verdauen ist. Wohl zu Recht. So ein Text sollte aufwühlen, sollte etwas in einem bewirken.

Den Unbekannten zeigt Cindy erst zwei Jahre nach der Vergewaltigung an. Nicht aus Rache, nicht weil sie eine Verurteilung will, wie sie sagt. Sondern für sich. Der nächste Schritt im Verarbeitungsprozess.

Sollte man nicht fragen «Was brauchst du jetzt?»

Dass Cindy die Vergewaltigung überhaupt angezeigt hat, das ist eine Ausnahme. Laut Amnesty International hat 2019 jede fünfte Frau in der Schweiz schon ungewollte sexuelle Handlungen erlebt. Nur acht Prozent erstatten jedoch Anzeige. «Wenn man vergewaltigt wird, dann ist die Scham so gross, dass viele nicht einmal darüber reden können», so Cindy. «Ich habe Leistungssport gemacht, ich bin eine starke Frau, und trotzdem konnte ich mich nicht wehren. Dafür und dass mir das passiert ist, schämte ich mich unglaublich.» Ausserdem sei es nicht einfach «easypeasy», eine Anzeige zu erstatten.

Die Frage nach der Anzeige, beziehungsweise, ob eine gemacht wurde, das ist übrigens auch jene, die viele direkt stellen, wenn Cindy ihre Geschichte erzählt. «Ich verstehe, dass man bei so einem Gespräch total überfordert sein kann. Aber sollte man sich nicht eher bedanken, dass diese Person einem so eine intime Information anvertraut hat? Sollte man nicht eher fragen, was man jetzt für diese Person tun kann, was sie nun braucht?»

Austausch auf Augenhöhe

Hier will Cindy anknüpfen. Sie startet ein Herzensprojekt und will Betroffenen ein niederschwelliges Angebot ermöglichen, dass sie sich damals selbst gewünscht hätte. Eine Website mit Chatfunktion, damit Betroffene sich einfach und unkompliziert Hilfe holen können, sobald sie dafür bereit sind. Ein Austausch-Café, wo Betroffene miteinander reden, sich austauschen und gegenseitig unterstützen können. Ein Programm, bei dem Vergewaltigungsopfer von anderen Betroffenen beim Gang zur Polizei oder ins Krankenhaus begleitet werden, wenn sie das möchten.

Ähnliche Angebote gibt es bereits, etwa die Opferberatungsstelle oder die Dargebotene Hand. Cindy sieht einen Unterschied zu ihrem Projekt: Bei vielen solchen Stellen spricht man nicht mit Gleichgesinnten. Die Arbeit von Psychologen und Sozialarbeitenden sei sehr wichtig, sie selbst möchte jedoch ein Angebot von Betroffenen für Betroffene schaffen – als Ergänzung zu bereits bestehenden Angeboten.

Kostengünstige Präventionskurse für Schulen

«Ich hätte mir damals jemanden an meiner Seite gewünscht, der das gleiche durchgemacht hat wie ich. Der weiss, wovon ich spreche, mir glaubt, nachvollziehen kann, wenn ich erzähle, dass ich weder schreien noch mich wehren konnte, als ich vergewaltigt wurde und mir aus eigenen Erfahrungen erzählen kann, was sie beschäftigt, wie sie Situationen nach der Vergewaltigung bezüglich Sexualität, Anzeige und Prozess bewältigt haben.»

Darüber hinaus möchte Cindy auch langfristig an Schulen kostengünstige Präventionskurse anbieten. «Man kann Kinder schon sehr früh altersgerecht aufklären und damit sie lernen, dass man beispielsweise die Grenzen von anderen Leuten nicht überschreiten darf.» Auch solche Programme gebe es bereits. Allerdings seien die oft so teuer, dass sich Schulen diese nur selten leisten könnten.

Crowdfunding soll Mitte Dezember Finanzierung sichern

Doch all das ist im Moment noch Zukunftsmusik: Noch steckt das Projekt in Babyschuhen. Und doch hat sich für die 28-Jährige schon viel verändert: «Es ist unglaublich, wie viele Menschen sich auf meinen Post bei mir gemeldet haben. Es gibt so viele Leute, die das Gleiche oder Ähnliches erlebt haben wie ich. Dies und das positive Feedback geben mir ungemein viel Kraft und ermutigen mich, diesen Weg weiterzugehen.»

Fünf Jahre nachdem ihr Leben auf den Kopf gestellt und sie gefühlt durch die Hölle gehen musste, zeigt sich Cindy auch etwas versöhnlich. «Ich will nicht schönreden, was er mir angetan hat, aber ich bin durch diese Vergewaltigung nochmals stärker geworden und konnte mich besser kennen lernen. Das ist das Positive an meiner Geschichte.»

Bis Mitte Dezember will Cindy ihre Website launchen. Damit einhergehen soll ein Crowdfunding, damit die Webpage und auch der Rest des Projekts finanziert werden kann.

Quelle: PilatusToday
veröffentlicht: 18. Oktober 2020 20:15
aktualisiert: 29. Oktober 2021 18:50