Flüchtlinge im Rollstuhl

«Patient musste in Ruine ausharren» – Surseerin hilft an der ukrainischen Grenze

22. Mai 2022, 11:02 Uhr

Quelle: PilatusToday / Anita von Rotz

An der Grenze Flüchtlinge betreuen, welche im Rollstuhl gefangen sind. Genau das machte die Pflegefachfrau Sara Muff aus Sursee. An der polnischen Grenze erlebte sie vieles, von Freudentränen bis zu Wunden, die so gross waren wie Tennisbälle.

Normalerweise arbeitet die 29-jährige Sara Muff als diplomierte Pflegefachfrau HF im Schweizerischen Paraplegiker Zentrum SPZ Nottwil und sitzt für die SP im Luzerner Kantonsparlament. Die letzten sechs Wochen verbrachte Muff im Auftrag der Schweizerischen Paraplegiker-Stiftung ganz anders. Sie war an der polnischen Grenze in Chelm und betreute 45 querschnittgelähmte Menschen.

Sara Muff hatte Kontakt zu ukrainischen Organisationen und koordinierte die Ankunft der Flüchtenden. Ihre Schicksale gingen der Pflegefachfrau nahe. «Es sind Tränen geflossen, wenn die Leute ausgestiegen sind», so Muff. Danach wurden die Paraplegiker und Tetraplegiker betreut. Die 29-jährige Pflegerin erzählt: «Alle sind in einem schlechten Zustand zu uns gekommen. Einige hatten Wunden, die so gross waren wie Tennisbälle.» Diese Wunden waren keine Kriegsverletzungen, sie entstanden durch Druckstellen.

Nervenraubende Reise

Nicht nur die Ankunft war emotional, auch die Reise der Flüchtenden bis zur Unterkunft in Chelm. Flüchtende, die auf den Rollstuhl angewiesen sind, hätten es besonders schwer. Mit einer Übersetzungsapp erzählten sie Sara Muff, dass die Fluchtkorridore nicht existierten. Brücken und Strassen wären zerstört gewesen. Muff sagt: «Ein Patient musste mehrere Tage in einer Ruine ausharren! Ein Fussgänger hätte einfach weiterlaufen können.»

Nebst der Reise sei auch der Grenzübergang selbst ein Knackpunkt. Männer mussten mit Papieren beweisen, dass sie nicht militärpflichtig sind. Muff erzählt von einem Beispiel: «Ein Mann Namens Sergej war seit etwas mehr als einem Monat Tetraplegiker. Er konnte seine Beine und Arme nicht bewegen, wurde liegend transportiert. Trotzdem liessen sie ihn wegen eines unvollständigen Dokumentes nicht über die Grenze.» Dreimal hätte Sergej versucht, den Grenzübergang zu überqueren. Sara Muff fieberte mit. «Als er über die Grenze kam, hatte ich Freudentränen. Ich verstehe nicht, warum sie ihn nicht über die Grenze liessen. Er war gelähmt!»

Nebst der Koordination davon, wie die gelähmten Flüchtlinge aus der Ukraine nach Chelm kamen, war Muff auch für den Kontakt mit Schweizer und Deutschen Organisationen verantwortlich. Zusammen wurde koordiniert, wohin die Flüchtenden kommen. Sara Muff: «Einzelne sind jetzt in der Schweiz. Im SPZ haben wir Personen, welche eine Operation benötigen und diese werden sie auch erhalten.»

Andere wurden nach Deutschland verlegt. Von dort erhielt Muff vor kurzen ein Telefon von einem Arzt, Muff erzählt: «Der Arzt teilte mir mit, dass drei ukrainische Patienten nur wegen mir überlebt hätten. Ohne meine Versorgung wären sie gestorben.» Für Muff ein sehr emotionaler Moment, es lief ihr kalt den Rücken runter. «Es zeigte mir, dass ich hier das Richtige mache!»

Blaugelbe Emotionen

Für genau solche Momente ist Muff dankbar. «Es ist schön zu wissen, dass ich etwas bewirken konnte.» Ihr Herz sei aktuell gefüllt mit blaugelben Emotionen. Die Arbeit bedeutete ihr viel. «Ich werde meinen Dienstplan schnellstmöglich wieder anpassen, damit ich wieder gehen kann.»

Jedem würde sie empfehlen, eine solche Erfahrung zu machen. «Lernt man Menschen aus der Ukraine kennen, dann soll man sich auf den Kontakt einlassen, die Hilfe anbieten und zuhören», so Muff. Um Hilfe von hier zu leisten, könne man auch auf für Querschnittgelähmte in der Ukraine spenden, sagte Muff.

Quelle: PilatusToday
veröffentlicht: 22. Mai 2022 06:58
aktualisiert: 22. Mai 2022 11:02