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Luzern

Ein Luzerner Start-up will den Bewerbungsprozess revolutionieren

Passive Bewerber erreichen

Ein Luzerner Start-up will den Bewerbungsprozess revolutionieren

Marcel Jambé, 3. Juni 2023, 10:40 Uhr
Für viele Branchen und Unternehmen ist der Fachkräftemangel nichts neues: Den besten Bewerber zu finden, ist für Unternehmen momentan keine leichte Aufgabe. (Symbolbild)
© KEYSTONE/Martin Ruetschi
Für viele Branchen und Unternehmen ist der Fachkräftemangel allgegenwärtig. Dementsprechend explodieren die Stelleninserate. Ein Luzerner Start-up-Unternehmen will dies ändern. Eine Expertin sieht in diesem Modell Stärken und Schwächen.

Zu viele offene Stellen, zu wenig Stellensuchende: Die besten Bewerbenden zu finden, ist für Unternehmen aktuell keine leichte Aufgabe. Dies will ein Horwer Start-up-Unternehmen ändern. Der Gründer des Start-ups «Jobster», Raphael Egli, ist der Meinung, dass das bisherige Rekrutierungsmodell aufgrund des Fachkräftemangels veraltet ist. «Beim alten Bewerbungsmodell geht man davon aus, dass mehr Leute nach Stellen suchen, als dass es Job-Inserate gibt. Das hat auch bis vor einem Jahr gut funktioniert», meint Egli. Inzwischen sei es umgekehrt.

Dabei will das Start-up jene Leute ansprechen oder erreichen, die momentan nicht aktiv auf Jobsuche sind, sogenannte «passive Bewerber». Passive Kandidatinnen und Kandidaten sind gemäss Egli in einem Unternehmen tätig, unterschwellig mit dem Job unzufrieden, aber noch nicht an dem Punkt, dass sie den Job wechseln wollen. Oder sie sind grundsätzlich offen für einen neuen Job. «Um diese zu erreichen zu können, muss man den Bewerbungsprozess einfach halten und auch einen anderen Weg einschlagen.» Dazu gehöre das Wegfallen der Lebensläufe und Motivationsschreiben, die passive Kandidaten sowieso in den wenigsten Fällen bereit haben.

In zwei Phasen die Falschen aussortieren

Erreichen will man die passiven Kandidaten via Social Media. Mit wenigen Klicks und wenigen Personalangaben sollen die potenziellen Kandidatinnen ihr Interesse zeigen. In der ersten Phase müssen die Bewerber ein Quiz lösen, bei dem sie sich mit dem Unternehmen auseinandersetzen und Fragen dazu beantworten müssen. In der zweiten Phase führt Jobster im Namen des Unternehmens mit allen Kandidaten ein Erstgespräch via Telefon. Alle geeigneten Personen werden danach der Firma für ein persönliches Bewerbungsgespräch weitergeleitet.

Das Unternehmen verspricht ausserdem seinen Klienten einen «Gebietsschutz». Das bedeutet, dass das Start-up während der Jobsuche nur ein Unternehmen pro Region und Branche betreut. So kann sichergestellt werden, dass kein Wettbewerb unter den verschiedenen Klienten entsteht. «Schliesslich wollen wir die Kandidaten untereinander nicht wegnehmen», erklärt Egli.

Matching-Tools werden immer öfters verwendet

Durch den aktuell herrschenden Fachkräftemangel seien momentan Entwicklungen beim Bewerbungsprozess bemerkbar, meint Expertin Rea Haldemann von der Hochschule Luzern HSLU. Sie ist spezialisiert auf Arbeits-, Organisations- und Personalpsychologie und als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Departement Wirtschaft tätig.

Rea Haldemann sieht im Modell des Luzerner Start-up-Unternehmens einige Stärken, aber auch Schwächen.

© HSLU

Aber völlig neu sei das Model des Start-up-Unternehmens nicht. «Es nutzt bereits bekannte Praktiken wie ‹Active Sourcing›, der zielgerichteten Rekrutierung möglicher Mitarbeiter, und den Verzicht auf Motivationsschreiben, die von einigen Unternehmen schon seit längerer Zeit angewendet werden», erklärt Haldemann.

Ein interessanter Ansatz biete die Erfassung von psychografischen Merkmalen. Damit sind persönliche und individuelle Daten einer Person gemeint wie beispielsweise Motivation, Werte, Bedürfnisse, sozialer Status, Meinungen, Aktivitäten, Einstellungen und Verhaltensmerkmale. «Dadurch können Unternehmen ein potenziell differenziertes Bild der Bewerbenden erhalten, das über die rein fachlichen Kompetenzen hinausgeht.»

Mit Social Media die Jungen erreichen

Immer öfters würden sogenannte «Matching-Tools» eingesetzt. Also digitale Hilfsmittel, die den Unternehmen dabei helfen, Kandidatenprofile auf ihre Passgenauigkeit mit einer Stelle zu untersuchen. Diese Tools berücksichtigen neben den fachlichen Kompetenzen auch Werte, Motive und Soft Skills. Solche Tools bieten Vorteile insbesondere bei der Ansprache von Berufseinsteigerinnen und Berufseinsteigern. «Durch die Einbindung sozialer Medien können junge Talente effektiv erreicht werden», erklärt Haldemann.

Ein weiterer Vorteil von solchen Tools sei, dass sie dazu beitragen können, Diskriminierungen entgegenzuwirken. «Werden beispielsweise bei der Entscheidungsfindung keine persönlichen Informationen wie Fotos und Namen berücksichtigt, wird eine faire Bewertung der Bewerbenden ermöglicht.»

Transparenz ist wichtig

So gut das «neue» Modell auch ist, hat es gewisse Schwachstellen. Haldemann betont, dass es wichtig ist, dass Unternehmen sich transparent gegenüber den Bewerbenden zeigen. Man müsse vermeiden, dass Bewerberinnen und Bewerber aufgrund unzureichender Informationen in den ersten Wochen feststellen, dass die Firma oder der Job nicht zu ihnen passt oder sie ihre Kompetenzen zu wenig einbringen können. «Fachkräfte streben nicht nur nach einem beliebigen Job, sondern suchen auch nach Sinnhaftigkeit, also der Möglichkeit, sich im Job zu entwickeln und sich mit dem Unternehmen zu identifizieren.»

Daher stellt sich für Modelle dieser Art die Herausforderung, nicht nur die offene Stelle so schnell wie möglich zu besetzen, sondern den Kandidatinnen ein authentisches und realistisches Bild des Unternehmens, des Jobs und dessen Anforderungen aufzuzeigen.

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Quelle: PilatusToday
veröffentlicht: 3. Juni 2023 10:40
aktualisiert: 3. Juni 2023 10:40