Luzerner Theater

20-jähriges Attentat wird inszeniert – Schwester des Opfers spielt mit

Martina Odermatt, 10. Februar 2022, 20:02 Uhr
Der Laienchor von damals erinnert sich auf der Bühne des Luzerner Theaters an die Tage, als der Tod plötzlich zum Greifen nah war.
© Luzerner Zeitung
Vor 20 Jahren kam es in Luzern zu tödlichen Schüssen. Diese wahre Geschichte wird nun am Luzerner Theater in der Inszenierung «Der Chor» aufgeführt. Mit dabei: Die Schwester des damaligen Opfers. Ihr hat die Aufarbeitung des Erlebnisses gutgetan.

11. Oktober 2001, Luzern, es ist Abend. Ein 20-jähriger Schweizer versteckt ein Sturmgewehr in einem Gitarrenkoffer und betritt die Wohnung seiner Ex-Freundin an der Bruchstrasse. Ihr gilt sein Hass, doch sie kann sich über den Balkon retten. Der Schuss trifft hingegen ihre 19-jährige Mitbewohnerin, Anna-Lena. Diese stirbt noch in der Wohnung im ersten Stock des Hauses. Der Täter verlässt danach die Wohnung, wohl auf der Suche nach seiner Ex-Freundin. Dabei schiesst er einer Passantin in die Schulter und richtet sich danach selbst.

Flutlichter, Spurensicherung, Spezialeinheit und jede Menge Polizisten. Das Gebiet rund um den Tatort ist chaotisch, jede Menge Menschen wuseln herum. Maria Peyer sitzt auf einer Mauer, atmet tief durch, beobachtet. «Die Stimmung war angespannt, die Situation sehr chaotisch», erzählt Maria Peyer heute. Sie hat an diesem Abend ihre Schwester verloren.

Ohnmacht und Überforderung

Richtig bewusst war ihr das damals noch nicht. Erst noch sass sie zusammen mit ihrer besten Freundin und hörte Nachrichten über Schüsse in Luzern. Danach erhielt sie einen Anruf der Mitbewohnerin. Anna-Lena sei seit dem Angriff verschwunden, sagte sie. «Ich dachte, meine Schwester hätte sich einfach irgendwo versteckt.» Maria Peyer pendelt zwischen Spital, Tatort, Wohnung des Vaters, ohne richtig zu wissen, wohin sie geht. Sie endet immer wieder vor der Wohnung der Schwester. «Irgendwann kam ein Polizist und stellte mir Fragen zu meiner Schwester: wie gross sie war, wie sie ausgesehen hat. Als ich sie beantwortet hatte, sagte er mir, dass meine Schwester verstorben war.» Peyer fällt in Ohnmacht. Als sie wieder erwacht, spürt sie eine grosse Überforderung.

Der Verlust der Schwester hinterlässt ein grosses Loch bei Maria Peyer. «Einerseits war es meine Schwester, sie hätte mal Gotti meiner Kinder werden sollen. Wir hatten ein enges Verhältnis und haben immer zueinander geschaut.» Aber es gab auch ein Loch im sozialen Gefüge. Anna-Lena sei die Person gewesen, die die meisten Anekdoten der Familie gekannt habe.

Achterbahn der Emotionen zehrt an Freundschaften

Man sei nicht darauf gefasst, dass so etwas passieren könnte. Maria Peyer hat in dieser Zeit viele Freunde verloren. «Es ist ein Auf und Ab mit den Emotionen. Manchmal möchte man darüber reden, dann wieder nicht. Es macht hilflos und überfordert einen. Und das zehrt auch an Freundschaften.» Psychisch sei diese Zeit sehr anstrengend gewesen, sagt Maria Peyer. Mittlerweile sei sie aber wieder stabil, habe ein gutes Umfeld.

Auch die Arbeit am Theaterstück «Der Chor» habe ihr gutgetan. Die Geschichte rund um den Tod ihrer Schwester wird nun nämlich als Theaterstück aufgeführt. Am Donnerstagabend feiert das Stück Premiere im Luzerner Theater. Die Idee und das Drehbuch dazu kamen von Dominik Busch.

Tagebucheinträge werden Stück begleiten

Zum Zeitpunkt des Attentats befand sich dieser mit Maria Peyers Mutter in einer Chorwoche in der Ostschweiz. Als die Nachricht von Anna-Lenas Tod die Gruppe erreicht, fragen sie sich, ob sie am Abend überhaupt singen wollen oder nicht. Sie entscheiden sich dafür. Derselbe Chor wird auch auf der Bühne des Theaterstücks stehen. Marias Mutter wird fehlen, weil auch sie in der Zwischenzeit verstorben ist.

Dafür nimmt Maria Peyer ihren Platz ein. «Ich bin sehr froh, dabei zu sein», sagt sie. Und: «Die Gespräche mit Dominik Busch über das Drehbuch und die Erlebnisse haben sehr gutgetan. Ich hatte immer ein Vetorecht.» Tagebucheinträge der Mutter werden das Theaterstück umrahmen. Ob die Mutter damit einverstanden gewesen wäre? «Zu hundert Prozent weiss ich es nicht, ob sie damit einverstanden gewesen wäre. Aber ich hatte keine schlaflosen Nächte deswegen und ich glaube, das ist schon mal ein gutes Zeichen. Wenn ich dahinterstehen kann, hätte sie sich sicher auch gefreut.»

Quelle: PilatusToday
veröffentlicht: 10. Februar 2022 17:47
aktualisiert: 10. Februar 2022 20:02