Cyrill aus Luzern: «Er hat geschrien, dass er mich verprügeln wird»
Quelle: PilatusToday / Anita von Rotz
Cyrill begrüsst mich mit einem offenen Lächeln. Wir setzen uns in ein Café an der Reuss und er beginnt zu erzählen. Der 23-Jährige war an der Fasnacht in Luzern unterwegs und versuchte gerade, seine Freunde über das Telefon zu erreichen, als ein fremder Mann auf ihn aufmerksam wird. «Er nannte mich ‹du verdammte Schwuchtel›, bespuckte mich und wollte wissen, was ich hier an der Fasnacht verloren hätte.» Rundherum zahlreiche Leute, die die Situation mitverfolgten. Eingeschritten sei keiner – Cyrill muss allein damit umgehen.
«Viel machen konnte ich nicht. Ich habe für mich selbst gedacht: ‹Uh, Cyrill, jetzt musst du einfach ruhig sein›», erzählt er. Zunächst hat der 23-Jährige deswegen so getan, als würde er nichts hören. «Aber als er mich angespuckt hat, habe ich mich doch umgedreht. Er hat mich angeschrien und gesagt, dass er mich verprügeln wird.» Dazu sei es aber zum Glück nicht gekommen.
Keine Zivilcourage
Cyrill sagt, er ist zu perplex und verängstigt gewesen, um auch nur ein Wort herauszubringen. Dass er aufgrund seiner Sexualität so behandelt wird, findet er tragisch. Noch tragischer ist es für ihn jedoch, dass keine einzige Person den Mut hatte, ihm zu helfen. «Ich verstehe es, wenn die Leute Angst hatten vor dem Eingreifen. Das hatte ich auch. Ich hätte mir aber gewünscht, dass wenigstens jemand zu mir hingekommen wäre oder gesagt hätte: ‹Hey, alles ist gut.› Weil hingesehen haben alle.»
Beistand bekam er jedoch erst mehrere Minuten später, als seine Freunde eintrafen. Von «solch homophoben Menschen» könne er nicht erwarten, dass diese jemals ihre Ansicht ändern. Zivilcourage hätte Cyrill in diesem Moment sehr wohl erwartet.
Erstattet keine Anzeige
Anzeige hat der 23-Jährige bisher nicht erstattet und wird das auch nicht tun. «Eine Anzeige gegen Unbekannt bewirkt nichts. Ich habe keine Ahnung, wer diese Person ist. Ich kann ihr Äusseres höchstens grob beschreiben», begründet er seine Entscheidung.
Stumm bleibt Cyrill aber nicht. Auf TikTok postet er ein Video zum Vorfall. Das hat mittlerweile über 30'000 Aufrufe und fast 700 Kommentare, in denen viele ihm gut zureden. Damit hat er überhaupt nicht gerechnet, sagt er und lacht. Auf den Grund angesprochen, erzählt er, dass er nicht als Opfer dastehen will. Mit dem Video will er ein Vorbild sein, Mut machen und zeigen, dass andere, denen Ähnliches passiert, nicht allein sind.
«Der Vorfall an der Fasnacht war einer von vielen. Aber es war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen gebracht hat. Ich fand: Hey, es reicht!» Er hofft, dass das Video auch Zivilcourage fördert. «Dass in Zukunft bei jemand anderem eingegriffen wird», erklärt Cyrill.
«Das ist leider Alltag für mich»
Denn Homophobie gehört für Cyrill zum Alltag. Sätze wie «Was für eine Schwuchtel!» und «Wie sieht der denn aus?» kriegt er quasi täglich zu hören. «Dabei liegt die Betonung immer auf ‹Schwuchtel›», sagt er. Um sich selber zu schützen, macht er seine Kopfhörer rein und hört Musik, wenn er alleine am Bahnhof unterwegs ist. Ignorieren und weitergehen sei die Devise.
Er könne damit mittlerweile recht gut umgehen. «Früher war es schwierig. Aber wenn man das immer wieder erlebt, ist man irgendwann abgehärtet», sagt er, ein trauriges Lächeln auf den Lippen.
Viel an der Situation ändern, könne er nicht. «Ich kann nicht erwarten, dass die Menschen sich so bald ändern», meint er. Aber er hofft, mit seinem Video wenigstens zum Nachdenken anzuregen.