Gastrobranche

«Spontane Dienstplanänderungen nerven» – Lernende bügeln Personalmangel aus

Vanessa Zemp, 25. Mai 2023, 07:55 Uhr
Rund 20 Prozent der Auszubildenden die Branche nach dem Qualifikationsverfahren verlassen.
© KEYSTONE/ARNO BALZARINI
Oft fehlen in den Lehrbetrieben Mitarbeitende. Ein Drittel der Auszubildenden leisten deshalb wöchentlich Überstunden. Zu diesem Ergebnis kommt die «Lernendenbefragung 2023» der Arbeitnehmerorganisation Hotel & Gastro Union. Eine Lernende hat mit PilatusToday über ihre Erfahrungen in der Gastrobranche gesprochen.

Diesen Sommer schliesst Sophie ihre Ausbildung zur Rezeptionistin ab. In diesen knapp drei Jahren sorgten einige Punkte mehrere Male für Kopfschütteln: die fehlende Wertschätzung, der Lohn und die zum Teil sehr kurzfristige Arbeitseinteilung. «Ab und an erhalten wir unseren Dienstplan wenige Tage im Voraus und da nur für 1 bis 2 Wochen am Stück», erzählt die Lernende. Sophie ist nicht ihr richtiger Name, sie steht kurz vor den Abschlussprüfungen und möchte anonym bleiben. «Auch spontane Dienstplanänderungen gibt es ab und zu. Zwar gehört das auch zum Beruf dazu, aber manchmal ist das ein bisschen anstrengend, wie soll man so sein Privatleben planen?»

Sie arbeitet nun in einem Hotel in den Bergen und kann, wie ursprünglich auch anhand des Berufsfeldes ausgewählt, ihre Ausbildung am Front- sowie Backoffice absolvieren. «Der erste Betrieb hat mich anfänglich im Service eingespannt, da auch dort Personalmangel herrschte», so Sophie. Das habe sie sich aber nicht lange gefallen lassen. Sie reagierte nach mehreren Gesprächen bezüglich der nicht veränderten Umstände und wechselte so den Betrieb. «Bis auf die bereits erwähnten Punkte gefällt es mir hier sehr gut, wir sind ein tolles Team.»

Rund 20 Prozent der Auszubildenden wollen die Branche verlassen

Der Personalmangel und die zurzeit unbefriedigenden Arbeitsbedingungen beschäftigen auch die Hotel & Gastro Union. Sie setzten sich für Arbeitnehmenden in der Gastrobranche ein. Seit Jahren bleiben die Ergebnisse der Lernendenbefragung unverändert – unverändert bescheiden. Gut 2000 Lernende aus den Bereichen Küche, Restauration, Hauswirtschaft, KV und Hotelkommunikation sowie Bäckerei-Confiserie haben an der Umfrage teilgenommen.

Gründe warum Lernende nicht auf ihrem erlernten Beruf bleiben wollen.

© hotelgastrounion.ch

Fast jeder Fünfte der Befragten will die Branche nach dem Qualifikationsverfahren verlassen, so die Ergebnisse. «Seit vier Jahren versuchen wir nun mit GastroSuisse einen neuen Gesamtarbeitsvertrag zu verhandeln, bisher verweigerten sie jegliche Gespräche mit uns», so Roger Lang, Leiter Rechtsdienst & Sozialpolitik bei Hotel & Gastro Union.

Der Grund: GastroSuisse stört sich an den gesetzlichen Mindestlöhnen. Während Hotel & Gastro Union einen neuen Landes-Gesamtarbeitsvertrag (L-GAV) mit überarbeiteten Bedingungen anstrebt, will GastroSuisse am bisherigen festhalten. «Die gesetzlichen Mindestlöhne haben nichts mit dem Gesamtarbeitsvertrag zu tun», so Lang. «Diese Blockade treibt unsere Branche in ein immer grösser werdendes Problem.»

GastroSuisse weist Vorwürfe zurück

Darauf entgegnet Casimir Platzer, Präsident der GastroSuisse: «Ein gemeinsam ausgehandelter Gesamtarbeitsvertrag ist ein austariertes Werk verschiedenster Bestimmungen, zu welchen auch die Mindestlöhne zählen.» Ausserdem könne man den Fachkräftemangel nicht mittels GAV lösen. «Der GAV legt die Mindestbedingungen für Anstellungen im Gastgewerbe fest und im heutigen Umfeld funktioniert der Arbeitsmarkt anders.» Jeder gastgewerbliche Unternehmer könne selber entscheiden, wie er die Arbeitsstellen in seinem Betrieb möglichst attraktiv gestalten kann.

«Wir nehmen dieses Thema sehr ernst, im Moment arbeiten wir an der Umsetzung unseres Fünf-Punkte-Plans, welcher dem Fachkräftemangel entgegenwirken soll.» Angegangen werden die Punkte:

1. Förderung des Branchen- und Berufsimages

2. Gezielte Unternehmerschulung auf den Themen Führung und Wertschätzung

3. Sicherstellen des beruflichen Nachwuchses

4. Nachqualifizierung von Branchen-Quereinsteigern

5. Attraktivitätssteigerung bei den Anstellungsbedingungen

Unterschriftenaktion «gemeinsam gegen Personalmangel»

Und dennoch, für die Hotel & Gastro Union ist der Geduldsfaden endgültig gerissen, wenn es um die Verhandlung eines neuen Gesamtarbeitsvertrags geht. «Es ist frustrierend, nichts unternehmen zu können, das Thema Personalmangel ist nicht erst seit gestern bekannt», so Lang. Ausserdem funktioniere die Kommunikation zwischen den beiden Verbänden in anderen Bereichen wie Aus- und Weiterbildungen sehr gut.

Ende 2022 startete der Arbeitnehmerverband deshalb mit der Unterschriftenaktion «gemeinsam gegen Personalmangel». Über 13'400 Personen haben bereits unterschrieben. Mit dieser Aktion setzt sich die Hotel & Gastro Union für eine bessere Ausbildung von Mitarbeitenden und Arbeitgebenden, für mehr Wertschätzung in den Betrieben, für einen besseren Ausgleich von Beruf und Freizeit sowie für mehr Lohn in der Branche ein. Die Unterschriften werden im kommenden Winter an den Arbeitgeberverband GastroSuisse übergeben.

Nach der Ausbildung die Schulbank drücken

Mehr Wertschätzung, diesen Punkt erwähnte auch die Lernende Sophie in unserem Gespräch. Überstunden zu leisten und für fehlende Mitarbeitende einzuspringen, gehöre in der Branche dazu. «Ich und auch viele andere Mitarbeitenden aus dem Gastro-/Hotelbereich, die ich während meiner Lehre kennenlernen durfte, stecken viel Engagement in den Berufsalltag, das sollte mehr geschätzt werden.»

Auch der Lohn nach der Ausbildung sei ein Thema. «Als ich mich für diesen Beruf entschied, stand ein guter Lohn nach dem EFZ Abschluss für mich nicht an erster Stelle, doch mit etwas mehr könnte man den Beruf durchaus attraktiver machen.» Für Sophie steht fest, nach ihren Abschlussprüfungen hat sie vorerst genug von der Gastro-/Hotelbranche. «Gut möglich, dass ich in ein paar Jahren für Saisonaufenthalte oder für 1 bis 2 Jahre in die Branche zurückkomme, doch vorerst freue ich mich, weiter die Schulbank zu drücken und zu studieren.» Ihre Interessen seien vielfältig, in welche Richtung es für sie geht, weiss sie bis anhin noch nicht.

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Quelle: PilatusToday
veröffentlicht: 25. Mai 2023 07:19
aktualisiert: 25. Mai 2023 07:55