Über 10'000 freie Stellen

Was ist los auf dem Lehrstellenmarkt? Ein Experte klärt auf

5. August 2023, 18:42 Uhr
Noch über 10'000 Lehrstellen sind aktuell unbesetzt. Woran liegt das?
© PilatusToday
Gerade aktuell – in einer Fachkräftekrise – wäre es wichtig, viele Lernende auszubilden. Doch nur Tage vor dem Start des Lehrjahres sind noch immer über 10'000 Lehrstellen unbesetzt. Gibt es zu wenige Schulabgänger oder zu viele Lehrstellen? Will niemand mehr eine Lehre absolvieren?

Allein auf dem grössten Lehrstellenportal der Schweiz «Yousty» sind aktuell noch 10'152 Lehrstellen offen, die im August 2023 angetreten werden sollten (Stand 2. August 2023). Da braucht es kein Expertenwissen, um zu realisieren, dass da etwas nicht stimmt. Doch was ist genau los auf dem Lehrstellenmarkt? Adrian Derungs, Leiter der Industrie- und Handelskammer Zentralschweiz (IHZ), ordnet gegenüber PilatusToday und Tele 1 ein.

In welchen Branchen haben wir momentan am meisten offene Lehrstellen?

Generell ist es so, dass das verarbeitende Gewerbe, die Baubranche aber auch die Gastronomie ihre Lehrstellen weniger gut besetzen können als Dienstleistungsbranchen mit kaufmännischen Berufen. Das hat aber vor allem auch damit zu tun, dass in den Branchen des verarbeitenden Sektors im Verhältnis zur Anzahl an Arbeitsstellen sehr viele Lehrstellen angeboten werden.

Möchten junge Menschen nicht mehr so viel arbeiten und haben veränderte Vorstellungen des Lebens?

Nein, diese Beobachtung teilen wir nicht. Erstens ist das Angebot spannender Lehrstellen sehr gross. Bei Befragungen in dieser Thematik gibt regelmässig eine Mehrheit unserer Mitgliederunternehmen an, dass sie im nächsten Jahr mehr Lehrstellen anbieten werden. Das freut uns sehr und stellt grundsätzlich eine gute Entwicklung dar.

Zweitens entstehen regelmässig neue Berufslehren. Insgesamt stehen zurzeit 245 verschiedene Berufe zur Wahl. Das ist ein Zeichen, dass sich das erfolgreiche Berufsbildungssystem an die Bedürfnisse des Arbeitsmarktes anpassen kann und so auch zukunftsfähig ist. Das führt zu einem guten Wettbewerb auf dem Lehrstellenmarkt.

Adrian Derungs, Leiter der Industrie- und Handelskammer Zentralschweiz (IHZ).

© Industrie- und Handelskammer Zentralschweiz IHZ

Wie sehen die Zahlen konkret in der Zentralschweiz aus?

Als Zentralschweizer Wirtschaft können wir stolz darauf sein, dass in unserer Region der Anteil an Lernenden in der beruflichen Grundbildung schweizweit am höchsten ist. Beobachtet man die Zahlen zu den Lehrstellen in der Zentralschweiz über einen längeren Zeitraum, sind die Veränderungen auch sehr klein.

Seit 2012 hat der Anteil der Personen, die sich für den beruflichen Ausbildungsweg entscheiden, beispielsweise im Kanton Uri sogar zugenommen. Uri ist mit einem Anteil von 78 Prozent auf dem ersten Platz schweizweit. In den Kantonen Luzern, Obwalden und Nidwalden hat der Anteil um 1 bis 2 Prozent abgenommen. In den Kantonen Schwyz und Zug ist der Rückgang mit 5 respektive 11 Prozent höher. Die Anteile befinden sich aber auch dort im Schweizer Durchschnitt.

Was uns eher Sorge bereitet, ist die Tatsache, dass in der Zentralschweiz die Zahlen zur Berufsmatura eher tief sind und in einigen Kantonen sogar sinken.

Gemäss dem «Nahtstellenbarometer» waren im Frühling erst 41 Prozent der Lehrstellen in der Baubranche besetzt – so tief war die Quote in der Untersuchungsreihe noch nie. Kann man sagen, dass die Baubranche für Lernende unattraktiv ist?

Die Baubranche macht sehr viel für ihre Nachwuchsarbeit. Sie weist eine der höchsten Anzahl Lehrlingen pro Beschäftigte auf.

Wie attraktiv die Baubranche ist, ist eine Frage der persönlichen Einschätzung und der persönlichen Bedürfnisse. Natürlich ist man bei diesem Beruf bei Regen, Schnee und Sonne draussen. Die Baubranche ist aber sehr innovativ, spannend und auch in Zukunft weiterhin sehr wichtig. Zudem gibt es in der Branche sehr interessante Weiterbildungs- und Karrieremöglichkeiten.

Was müssen Betriebe unternehmen, um die vielen offenen Lehrstellen besetzen zu können? Reichen die aktuellen Kampagnen?

Generell ist es wichtig, immer wieder zu zeigen, was für spannende Unternehmen wir hier in der Zentralschweiz haben und damit verbunden, was es alles für Berufe und Karrieremöglichkeiten gibt.

Die einzelnen Lehrstellen zu besetzen ist danach Sache der Unternehmen. Die Unternehmen stehen im Wettbewerb um die guten Lernenden. Ein Rezept oder einen Königsweg gibt es dabei nicht. Es gilt innovativ, modern und anpassungsfähig zu sein und strategisch zu denken, wie überall in der Wirtschaft.

Gibt es auch Branchen, die ihre offenen Lehrstellen gut besetzen können? Wenn ja, welche Branchen sind das?

Dazu gehört sicherlich die Finanz- und Versicherungsbranche. Dort sind die Lehrstellen begehrt.

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(hni / fja)

Quelle: PilatusToday
veröffentlicht: 5. August 2023 18:37
aktualisiert: 5. August 2023 18:42